
Jugendliche im Dropshipping-Fieber
Welche Möglichkeiten habe ich als Jugendlicher, etwas Geld dazuzuverdienen? Babysitting, Zeitungen oder Prospekte verteilen, Hausaufgabenunterstützung/Nachhilfe, im Garten helfen, Tiere betreuen oder Gassi gehen, beim Putzen helfen, in Läden oder Lokalen aushelfen (z. B. Regale einräumen, bedienen)…. oder ich bin jung, eröffne einen Webshop und stelle Produkte ein, von denen ich annehme, dass sie auf großes Interesse stoßen werden!?
Immer mehr Jugendliche lassen sich auf Social-Media-Plattformen wie TikTok oder YouTube von sogenannten Dropshipping-Influencern begeistern. Diese werben mit schnellen Reichtümern durch den Online-Verkauf günstiger Produkte aus Asien – oft begleitet von Bildern aus Luxusvillen, teuren Autos und protzigem Lifestyle. Besonders die Generation Z zeigt sich empfänglich für diese Versprechen.
Dropshipper sind Zwischenhändler
Der Dropshipper agiert als Vermittler zwischen dem Kunden und dem Großhändler. Die Ware wird erst beim Lieferanten bestellt, wenn ein Kunde etwas kauft. Er nimmt die Bestellung auf, leitet sie an den Großhändler weiter, hat jedoch weder ein eigenes Lager noch einen physischen Laden. Sein Gewinn entsteht durch die Differenz zwischen dem Preis, den der Kunde zahlt, und dem Preis, den er an den Großhändler überweist. Dabei profitiert er davon, dass wir – entweder aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit – nicht direkt bei Plattformen wie Temu, Aliexpress oder Alibaba einkaufen, obwohl wir dort oft günstiger fündig werden könnten. Vor allem auf Amazon analysieren Verkäufer, welche Produkte besonders gefragt sind – häufig auch unbekannte Marken, denen Kunden trotzdem vertrauen.
Die Gewinnspanne kann dabei durchaus zwischen 20 und 40 Prozent oder mehr liegen. Und binnen weniger Monate – voilà – ist man angeblich reich. Zumindest ist das die Verheißung.
Lehrabbruch als Spiegel einer neuen Generation
Was auf den ersten Blick wie ein persönlicher Einzelfall wirkt, steht sinnbildlich für ein Phänomen, das immer häufiger wird: Junge Menschen der Generation Z schlagen vermehrt unkonventionelle Wege ein – auch in der Berufsausbildung. In Deutschland werden jährlich etwa 20-25% aller Lehrverträge vorzeitig aufgelöst – so viele wie nie zuvor. Zwar handelt es sich in den meisten Fällen lediglich um einen Wechsel innerhalb der Ausbildung, doch die Zahl jener, die ihre Lehre vollständig abbrechen, nimmt zu. Die Gründe dafür sind vielfältig, zeichnen aber ein klares Bild: Junge Menschen suchen nach mehr Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Freizeit, nach Sinnhaftigkeit und nach Flexibilität.
Dazu kommt eine wachsende Desillusionierung: Viele aus der Gen Z haben längst erkannt, dass sie es wirtschaftlich wohl schwerer haben werden als ihre Eltern. Wenn soziale Medien dann noch die Illusion einer schnellen und glamourösen Karriere vermitteln, wird der Ausstieg aus einer traditionellen Lehre zur vermeintlich logischen Konsequenz.
Der Traum von der Unabhängigkeit
Was ältere Generationen oft als mangelnde Disziplin deuten, ist in Wahrheit häufig der Wunsch, die besten Jahre des Lebens in etwas Eigenes zu investieren – statt sich an klassische Firmenstrukturen zu binden, die wenig Spielraum für Individualität lassen. Immer mehr junge Menschen setzen daher auf Selbstständigkeit – insbesondere online.
Eine aktuelle Umfrage zeigt: Rund 60 Prozent der jungen Erwachsenen streben an, spätestens mit 30 ihr eigener Chef oder ihre eigene Chefin zu sein. Der Traum vom eigenen Business scheint greifbarer denn je – auch durch Plattformen wie Instagram, YouTube oder TikTok, die neue Vorbilder und Karrierewege sichtbar machen.
Studien zeigen: Jeder fünfte Schüler kann sich heute eine Zukunft als Influencer vorstellen – mit dem Ziel, unabhängig zu arbeiten und online Geld zu verdienen. Immer mehr orientieren sich an medial präsenten Rollen wie Influencerinnen, Content Creators oder Designerinnen – Berufe, die mit Selbstverwirklichung und scheinbar geringem Aufwand verbunden werden. In dieses Bild passt auch das Geschäftsmodell Dropshipping.
Doch kann man damit tatsächlich langfristig Erfolg haben?
Der Einstieg ist vergleichsweise leicht: Schon mit geringen monatlichen Kosten können junge Händler eigene Webshops eröffnen. Die Plattformen behalten allerdings je nach Produktkategorie einen Teil des Umsatzes ein. Viele Jugendliche, die sich, inspiriert von Influencern, für diesen Bereich interessieren, kennen und verstehen die wirtschaftlichen Risiken oder rechtlichen Rahmenbedingungen jedoch nicht vollständig.
Einer der bekanntesten Vertreter der Szene ist der 23-jährige Jonathan Nägele. Durch einen Kunden wurde er auf das Modell aufmerksam, brach sein Jurastudium ab und baute eigene Onlineshops auf. Heute betreibt er einige davon weiter, verdient aber vor allem mit einem Beratungsunternehmen für angehende Dropshipper. Doch Nägele selbst warnt vor falschen Erwartungen – insbesondere bei Minderjährigen. Die rechtlichen Hürden seien hoch, schon ein Bankkonto könne zum Problem werden. Zudem fehle es oft am nötigen Startkapital. Dass Jugendliche ihn fragen, ob sie für eine Karriere im Dropshipping die Schule abbrechen sollen, beunruhigt ihn: „Ich rate jedem davon ab.“ Auch aus Schutz vor Nachahmern hält Nägele Details zu seinen Produkten geheim. Seine Erfahrung: Erfolgreiche Shops werden schnell kopiert – nicht selten mit rechtlichen Auseinandersetzungen zur Folge.
Einstiegsalter und Risiken
Laut Experten sinkt das Einstiegsalter in diese Szene weiter, auch weil Jugendliche heute digital immer fitter sind. Doch dabei wird oft übersehen: Minderjährige dürfen ein solches Geschäft nicht einfach starten. Selbst wenn die Eltern zustimmen, braucht es zusätzlich die Erlaubnis des Familiengerichts. Das macht den Einstieg rechtlich kompliziert – und sollte Eltern bewusst machen, dass die Realität hinter den vermeintlich einfachen Erfolgsmodellen oft deutlich komplexer ist.
Ein Gerichtsurteil aus Karlsruhe zeigt deutlich, wie streng die rechtlichen Vorgaben sind, wenn Minderjährige ins Onlinegeschäft einsteigen wollen. 2023 wollte ein Jugendlicher ein eigenes Dropshipping-Business gründen – mit Zustimmung seiner Eltern. Doch das Oberlandesgericht lehnte ab: Ein solches Vorhaben sei nicht mit dem Kindeswohl vereinbar.
Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass der Jugendliche nicht ausreichend über rechtliche, steuerliche und unternehmerische Risiken informiert war. Sein Businessplan sei unausgereift, und insbesondere der Handel über Plattformen außerhalb Europas bringe zusätzliche Gefahren mit sich. Auch bei EU-weitem Handel fehle dem Minderjährigen die nötige Reife, etwa beim Umgang mit Rückgaberechten. Juristisch betrachtet dürfen Influencer Jugendlichen Tipps zum Dropshipping geben – selbst wenn diese nicht immer im besten Interesse der jungen Zuschauer sind. Das fällt unter die Meinungsfreiheit. Dennoch gibt es Grenzen: Irreführende Werbung ist verboten, und auch Influencer müssen sich daran halten – selbst dann, wenn sie kein Geld für ihre Aussagen bekommen.
Problematisch wird es, wenn Minderjährigen Geschäftsmodelle wie Dropshipping schmackhaft gemacht werden, die sie rechtlich gar nicht umsetzen dürfen. Solche Inhalte können als irreführend gewertet werden – doch gegen solche Praktiken können meist nur Mitbewerber rechtlich vorgehen, nicht Eltern oder Jugendliche selbst. Das Medienrecht, das Jugendliche beim Medienkonsum schützen soll, greift hier in der Regel nicht.
Für Eltern heißt das: Influencer auf Plattformen wie TikTok oder YouTube können großen Einfluss auf ihre Kinder ausüben – auch in Bereichen, in denen rechtliche und wirtschaftliche Risiken bestehen.
Für Eltern bedeutet das: Wachsam sein, wenn Kinder sich von schnellen Erfolgsversprechen im Netz blenden lassen – und frühzeitig über Risiken und Pflichten unternehmerischer Tätigkeiten aufklären.
Auch wenn Kinder sich für E-Commerce interessieren, gibt es klare rechtliche Grenzen – und das aus gutem Grund. Ein früher Einstieg ins Unternehmertum sollte sorgfältig geprüft und begleitet werden.
Checkliste: Wenn Ihr Kind ins Dropshipping einsteigen will
- Rechtliche Voraussetzungen klären
- Jugendliche unter 18 dürfen in der Regel kein eigenes Gewerbe ohne Zustimmung des Familiengerichts führen – die Erlaubnis der Eltern allein reicht nicht aus.
- Ein Geschäft gilt rechtlich als Erwerbstätigkeit, sobald es auf Gewinn ausgerichtet ist.
- Finanzielle Risiken offen ansprechen
- Auch wenn kein Lager notwendig ist, entstehen Kosten für Werbung, Shop-Tools oder Plattformgebühren.
- Misslungene Werbekampagnen oder unzuverlässige Lieferanten können finanzielle Verluste bedeuten.
- Steuerliche und bürokratische Pflichten beleuchten
- Gewerbeanmeldung, Buchhaltung, Umsatzsteuer und ggf. Zoll – all das muss selbstständig organisiert und verstanden werden.
- Eine professionelle Beratung durch Steuerexperten ist oft notwendig.
- Medienkompetenz fördern
- Influencer versprechen oft überzogene Erfolge. Gemeinsam Videos kritisch analysieren: Ist das realistisch? Was wird verschwiegen?
- Auf Warnsignale achten: Versprechen schneller Reichtum, kein Impressum, unklare Produktquellen.
- Realistische Ziele setzen
- Dropshipping kann ein spannendes Lernfeld sein – aber es ersetzt keine Ausbildung oder Schulbildung.
- Statt „schnell reich werden“ besser auf langfristiges Lernen, unternehmerisches Denken und verantwortungsvollen Umgang mit Geld setzen.
Herausforderungen und Regularien
Werbung auf TikTok oder Instagram für das Business ist keineswegs ein Selbstläufer, sondern erfordere hohe Zeit- und Kostenaufwände. Zudem ist es schwierig, kurze Lieferzeiten einzuhalten, wenn die Ware aus Asien kommt, da Dropshipper oft nicht die höchste Priorität bei den Lieferanten haben. Auch die Handhabung von Rücksendungen könnte problematisch werden, da der Händler verpflichtet ist, Retouren zu akzeptieren, aber oft vor der Herausforderung steht, wie er diese nach Asien zurückschicken kann.
Die EU arbeitet an strengeren Vorschriften, um Verbraucher besser vor Billigprodukten aus China zu schützen und den Zustrom von Paketen chinesischer Plattformen wie Temu und Shein zu begrenzen. Im vergangenen Jahr wurden etwa 4,6 Milliarden Pakete im Wert von weniger als 22 Euro in die EU importiert, wobei fast 90 Prozent aus China stammten. Um die Zollämter zu entlasten, wird eine Bearbeitungsgebühr für Pakete diskutiert, was die bisherige Zollbefreiung für Sendungen bis zu einem Wert von 150 Euro abschaffen könnte.
Diese Änderungen könnten auch Dropshipping-Händler negativ beeinflussen. Zudem wurden seit Dezember 2024 strengere Sicherheitsanforderungen für Produkte in Europa eingeführt, darunter Anforderungen an Verpackung und Zusammenbau. Darüber hinaus wurde das ‚Recht auf Reparatur‘ beschlossen, um die Entsorgung von Elektrogeräten nach Ablauf der Garantie zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund sollten Jugendliche, die ein Dropshipping-Geschäft in Erwägung ziehen, ihre Entscheidung sorgfältig abwägen.
Reich wird man selten
Einige haben es geschafft, viel Geld mit Dropshipping zu verdienen. Wer früh dabei ist, hat eben den Vorteil der sogenannten First Mover. Gemeint sind jene, die als Erste ein neues Geschäftsmodell entdecken und sich damit einen Vorsprung sichern. Doch je mehr auf den Zug aufspringen, desto enger wird es auf dem Markt.
Auch wenn Social-Media-Videos etwas anderes versprechen – mit Dropshipping reich zu werden, ist laut Experten kaum noch möglich. Der Onlinehandel mit günstiger Importware aus Asien ist stark umkämpft, die Gewinnmargen sind minimal, und der Markt wird zunehmend von professionellen Anbietern aus China dominiert. Jugendliche, die sich davon blenden lassen und versuchen, selbst einen Webshop zu starten, stoßen schnell an ihre Grenzen.
Das Problem an der Sache: Dropshipping ist – ähnlich wie das Goldgräbergeschäft früher – ein knallhartes Geschäft. Es klingt oft nach einem Selbstläufer, lässt sich in der Realität aber kaum automatisieren. Man kann mit Dropshipping eine Zeit lang gutes Geld verdienen – vorausgesetzt, man findet immer wieder neue, trendige Produkte. Aber was passiert in fünf Jahren? Er führt aus: Vielleicht verlangt TikTok dann eine Verkaufsprovision. Und die Preise für Online-Werbung steigen kontinuierlich – in den letzten zehn Jahren haben sie sich mehr als verdoppelt. Je mehr Anbieter auf den Markt drängen, desto härter wird der Wettbewerb – irgendwann ist der Markt gesättigt. Er macht eine kurze Pause und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: Aber ein teures Coaching verkaufen – das geht immer.
E-Commerce-Experten warnen außerdem vor der wachsenden Zahl unseriöser Onlineshops ohne Impressum, die zwar professionell wirken, aber keine echte Geschäftsbasis haben. Rechtlich lässt sich dagegen kaum etwas ausrichten, da viele Betreiber aus dem Ausland schwer zu fassen sind. In der aktuellen Entwicklung ist vor allem ein Trend zu erkennen: Während junge Menschen vom schnellen Erfolg träumen, verdienen am meisten die sogenannten Coaches, die Tutorials verkaufen oder Beratungen anbieten.
Für Eltern bedeutet das: Aufklärung ist wichtig. Jugendliche sollten wissen, dass Dropshipping kein Selbstläufer ist – und dass Versprechen aus dem Netz oft mehr Schein als Sein sind…