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Pubertät als Bewährungsprobe für das Familienleben

Wenn Türen lauter sprechen als Worte

Starke Emotionen, eigensinnige Rückzugsorte, duftende Herausforderungen und spontane Stimmungsschwankungen – plötzlich wohnt ein Pubertier im Haus. Was tun, wenn der Alltag mit Jugendlichen zur emotionalen Achterbahnfahrt wird?

Aus Sicht von Eltern und Lehrkräften wirken Jugendliche in dieser Phase oft wie wandelnde Rätsel: mal laut, mal leise, mal ganz nah – und dann wieder völlig unnahbar. Kein Wunder, dass es im Familien- und Schulalltag häufiger mal kracht. Doch wer verstehen will, was hinter den Launen steckt, sollte einen Blick ins Innere werfen: Denn tiefgreifende Veränderungen im Gehirn und Körper sind verantwortlich für das Verhalten in dieser Lebensphase. Wer diese Prozesse kennt, kann gelassener reagieren – und die Jugendlichen mit mehr Verständnis begleiten.

Großbaustelle Gehirn – Wenn das Oberstübchen umgebaut wird

Lange Zeit galten Hormone als alleinige Verursacher der pubertären Turbulenzen. Heute weiß man: Auch das Gehirn steckt mitten in einer umfassenden Umbauphase – vergleichbar mit einer Großbaustelle, auf der zwar schon eifrig gearbeitet wird, aber noch längst nicht alles fertig ist.

Mitten im Umbau: die Umstellung vom kindlichen zum erwachsenen Gehirn. Und wie auf jeder Baustelle läuft auch hier nicht alles reibungslos. Besonders betroffen ist zunächst das sogenannte limbische System – zuständig für Emotionen, Motivation, Verhalten und Langzeitgedächtnis. Es ist quasi das erste Gewerk, das modernisiert wird. Die Areale, die für Impulskontrolle, Planungsfähigkeit und vorausschauendes Denken verantwortlich sind, lassen sich hingegen mehr Zeit.

Das Ergebnis: Jugendliche sind emotional oft überfordert, schnell reizbar, haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, und ein deutlich erhöhtes Schlafbedürfnis. Kein Wunder also, dass in dieser Phase auch die schulischen Leistungen bei vielen vorübergehend in Mitleidenschaft gezogen werden.

Aber keine Sorge – die Baustelle ist zwar chaotisch, aber gut geplant. Sie führt am Ende zu einem stabileren, leistungsfähigeren und reiferen Gehirn. Man braucht nur etwas Geduld, einen Helm voller Gelassenheit – und manchmal auch Ohrstöpsel.

Pubertät – Wann geht’s eigentlich los?

Nicht nur das Gehirn wird in der Pubertät zur Großbaustelle – auch im Körper wird kräftig umgebaut. Den Startschuss geben die Hormone: Bei Mädchen steigt der Östrogenspiegel meist zwischen dem 8. und 14. Lebensjahr, bei Jungen zwischen dem 9. und 15. Lebensjahr das Testosteron. In dieser Zeit entwickeln sich die sogenannten sekundären Geschlechtsmerkmale: Brüste beginnen zu wachsen, Körper- und Schambehaarung setzt ein – und ja, manchmal überrascht einen das alles früher, als man denkt.

Im Schnitt bekommen Mädchen ihre erste Periode mit etwa 12 Jahren, Jungen erleben im gleichen Alter oft den Stimmbruch – sehr zur Freude (oder dem Erstaunen) ihres Umfelds. Und keine Sorge: Die erste Menstruation ist noch kein zwingender Grund für einen Termin bei der Frauenärztin. Ein Besuch ist meist erst dann sinnvoll, wenn Beschwerden auftreten. Viele Frauen- und Kinderarztpraxen bieten heutzutage spezielle Mädchensprechstunden an, in denen einfühlsam informiert und begleitet wird.

Und was ist mit den Jungs? Müssen die einfach durch? Nicht unbedingt. Auch für sie gibt es mittlerweile erste Anlaufstellen. Auch einige Urologen gehen mit gutem Beispiel voran: Mit einer Jungensprechstunde wird ein geschützter Raum für junge Männer geschaffen, in dem Fragen gestellt werden können, die beim Kinderarzt vielleicht zu peinlich wären. Dort geht es nicht nur um Körper und Veränderungen, sondern auch um Selbstfürsorge, Gesundheit – und die wichtige HPV-Impfung, die übrigens für Mädchen und Jungen empfohlen wird.

Natürlich bleiben hormonelle Veränderungen nicht ohne äußere Spuren: Pickel, Akne und andere Hautprobleme gehören leider oft dazu – was das ohnehin empfindliche Selbstwertgefühl zusätzlich herausfordert. Umso wichtiger ist es, Jugendliche in dieser Phase ernst zu nehmen, zu begleiten – und ihnen zu zeigen, dass sie mit all dem nicht allein sind.

Wertschätzung statt Augenrollen – Pubertät verdient Respekt

Teenager sollten vielleicht nicht als wandelnder Ausnahmezustand oder personifizierter Nervenzusammenbruch wahrgenommen werden. Statt genervtem Seufzen ist vielmehr Respekt angebracht – und ein Blick hinter die Kulissen eines Lebensabschnitts, den sich niemand freiwillig ausgesucht hat.

Denn Pubertät ist kein bewusst gewählter Zustand, sondern eine tiefgreifende Umbruchphase. Jugendliche befinden sich zwischen Kindheit und Erwachsensein – oft ohne festen Boden unter den Füßen. Körper, Geist und Seele befinden sich im Umbau, der Innenausbau läuft auf Hochtouren, während draußen schon die Anforderungen der Erwachsenenwelt klopfen.

Die Veränderungen sind rasant – und bringen viele Fragen mit sich: „Wann kommt endlich der Stimmbruch?“, „Alle anderen haben schon Brüste – stimmt etwas nicht mit mir?“, „Ist es normal, dass ich so viel blute?“ Solche Unsicherheiten sind belastend – und werden durch den ständigen Vergleich auf Social-Media-Plattformen wie Instagram oder TikTok zusätzlich verstärkt.

Kein Wunder also, wenn Emotionen hochkochen, Türen knallen und Gespräche manchmal einseitig ausfallen. Statt das als reine Provokation zu deuten, lohnt sich ein Perspektivwechsel: Viele Gefühlsausbrüche sind letztlich ein Ruf nach Halt, Orientierung – und Nähe. Gerade in dieser Phase brauchen Jugendliche die emotionale Verbindung zu ihren Eltern besonders stark, auch wenn sie das selten zugeben würden.

Hinzu kommt: Nicht selten treffen in Familien gleich zwei hormonelle Ausnahmezustände aufeinander – wenn Mütter am Beginn der Wechseljahre stehen und dabei gleichzeitig mit einem pubertierenden Kind unter einem Dach leben. Da können alte Themen und neue Herausforderungen parallel aufbrechen – inklusive der Auseinandersetzung mit der eigenen Jugend und dem Frausein.

Die gute Nachricht: Im Vergleich zu früher gibt es heute deutlich mehr Wissen, bessere Aufklärung und praktische Unterstützung. Ob Periodenunterwäsche oder Mädchensprechstunde – viele Dinge, die früher tabuisiert oder schlichtweg nicht vorhanden waren, erleichtern Mädchen (und ihren Eltern) heute den Alltag.

Also: Weniger genervt sein, mehr Verständnis zeigen – und sich immer wieder daran erinnern, dass Pubertät zwar laut sein kann, aber auch eine wertvolle Phase des Wachsens ist. Für alle Beteiligten.

Von zugeknallten Türen und bauchfreien Diskussionen – Ein Stammtisch im Zeichen der Pubertät

Einmal im Monat treffe ich mich mit einer Gruppe Freundinnen, die sich – wie so viele Elternfreundschaften – aus der Krabbelgruppen-Zeit unserer Kinder kennt. Mittlerweile sind aus Windelträgern pubertierende Persönlichkeiten geworden. Beim letzten Treffen habe ich neugierig in die Runde gefragt: Wie geht ihr eigentlich mit den täglichen Reibereien und dem pubertären Wahnsinn um?

Einigkeit herrschte schnell: Manche Phasen muss man schlichtweg aushalten. Jenny brachte es auf den Punkt: „Man kommt besser klar, wenn man versteht, was im Gehirn gerade passiert – und sich an die eigene Pubertät erinnert.“ Eine Einladung zur Empathie, nicht zum Augenrollen.

Die Herausforderungen? Vielfältig. Das eine Kind möchte bauchfrei zur Schule, das andere bevorzugt Oversize-Look mit Kapuze bis zur Nasenspitze. Künstliche Nägel, gefärbte Haare, Piercing-Fantasien inklusive. Caro handhabt das pragmatisch: „Ich frage mich, ob es der richtige Moment für einen Konflikt ist – oder ob ich es einfach mal laufen lasse. Die meisten Dinge regeln sich von selbst wieder raus.“

Und dann ist da noch das Thema Körperpflege. Oder besser gesagt: der plötzliche Mangel daran. Wenn das Badezimmer zur Deko wird und das Kind zur Geruchsquelle, schlägt Jenny eine charmante Brücke: Sie legt Waschlappen bereit – dezent mit dem Hinweis, dass es auch zwischen den Duschtagen Möglichkeiten der Frische gibt.

Einig waren sich alle auch darin: Offenheit ist das A und O. Körperliche Veränderungen sollten besprechbar sein – ohne Scham, aber auch ohne Fremdschämen. Denn was uns vielleicht peinlich ist, ist für Jugendliche oft mit echten Unsicherheiten verbunden.

Maja hat in ihrer Familie die Rolle der inneren „Müllhalde“ eingenommen – im besten Sinne. „Meine Kinder dürfen alles bei mir abladen. Ich höre zu, ohne sofort Tipps loszuwerden. Und frage erst im passenden Moment, ob sie überhaupt einen Ratschlag wollen.“ Ihr wichtigster Tipp: Bewertungen weglassen. Auch wenn der Look zum Stirnrunzeln einlädt – lieber mal die Zunge zügeln. Meistens sagt der Moment mehr als jeder Kommentar.

So ging der Abend weiter – mit viel Lachen, Schulterklopfen und der Erkenntnis: Wir sind nicht allein. Pubertät ist keine Prüfung, die man bestehen muss, sondern eine Lebensphase, die man gemeinsam durchlebt. Mit Gelassenheit, Humor und der Bereitschaft, auch mal Fünfe gerade sein zu lassen.

Haltung zeigen – aber bitte ohne Ratschlagkeule

Elternsein in der Pubertät? Oft ein Balanceakt zwischen Nähe und Rückzug, Zuhören und Aushalten. Was dabei gar nicht gut ankommt: ungefragte Ratschläge. Statt vorgefertigter Lösungen und belehrender Vorträge lieber die ehrlich gemeinte Frage: „Was brauchst du von mir?“ oder „Wie kann ich dich unterstützen?“ – und damit signalisieren: Ich bin da, wenn du mich brauchst – aber ich dränge mich nicht auf.

Denn manchmal ist es gar nicht so leicht, eigene Gefühle zu benennen. Ich selbst habe erlebt, dass meine Tochter oft einfach nur sagt: „Ich weiß ja auch nicht…“ – wenn sie traurig, wütend oder überfordert ist. In solchen Momenten hilft bei uns keine große Diskussion, sondern etwas ganz Einfaches: eine Rückenmassage. Nähe, ohne reden zu müssen. Entspannung, ohne Erklärungsdruck. Und oft auch eine leise Tür in Richtung Verständnis.

Auch meine Kollegin – deren Kinder noch im Kita-Alter sind – hat sich an ihre eigene Jugend zurückerinnert: „Ich hätte mir damals gewünscht, meine ganze Gefühlspalette zeigen zu dürfen. Nicht nur gute Laune. Eltern müssen auch Traurigkeit und Wut aushalten können. Bei kleinen Kindern sagt niemand etwas – aber bei Teenagern heißt es oft nur: ‚Jetzt reiß dich mal zusammen!‘“

Die Tochter einer Freundin, selbst noch nah an der eigenen Pubertät, bringt es ebenfalls auf den Punkt: „Ich hätte mir Freiraum gewünscht. Zeit für mich. Die Chance, mich auszuprobieren, ohne bewertet zu werden. Klamotten, die ich mochte, bunte Haare, Make-up-Experimente – all das hat mir geholfen, herauszufinden, wer ich bin und was ich will.“

Eine Bekannte, Mutter von drei Kindern, von denen zwei die Pubertät bereits hinter sich haben, hat gelernt: „Lieben, umarmen, Halt geben. Und sich Sätze wie ‚Ich hab’s dir ja gesagt‘ einfach sparen. Statt über die Scherben zu schimpfen, lieber beim Aufräumen helfen. Und wenn Türen knallen, tief durchatmen und warten, bis der Rauch sich gelegt hat – dann ist oft Raum für ein echtes Gespräch.“ Ihr Rat: Nicht jedes Thema muss sofort auf den Tisch. Auch Teenager haben ein Recht auf Geheimnisse.

Und um es mal pragmatisch auf den Punkt zu bringen: Eine zugeknallte Tür ist nicht das Ende der Familienidylle – manchmal ist sie einfach nur ein ganz praktisches Ventil. Wichtig ist, dass wir Erwachsene uns anständig benehmen, damit unsere Kinder überhaupt wissen, wie das geht.

 

Am Ende zeigt sich: Pubertät braucht nicht perfekte Eltern – sondern verlässliche, geduldige und humorvolle Menschen, die da sind, wenn’s drauf ankommt. Und die wissen: Ein ruhiges Gespräch nach dem Sturm ist oft mehr wert als zehn wohlmeinende Ratschläge im falschen Moment.