Mobbing – Wie helfe ich meinem Kind

Toms Leidensweg nahm seinen Anfang in einem anfänglich unscheinbaren Streit mit seinem engsten Freund Ben. Obwohl die beiden schnell wieder zueinander fanden, entfachte Ben in den folgenden Tagen eine diffamierende Kampagne gegen Tom. Ben erklärte einige kleine Hautpusteln auf Toms Körper kurzerhand zu einer ansteckenden Hautkrankheit. In der Folgezeit folgten weitere Attacken, nicht nur von Ben, sondern auch von Mitschülerinnen und Mitschülern, von denen Tom dies niemals erwartet hätte. Stück für Stück wurde er in die Isolation gedrängt. Trotz allem  verließ Tom die Schule nicht. Die Erfahrungen, die er in diesen Jahren machte, sollten jedoch seinen weiteren Lebensweg nachhaltig prägen.

Mobbing ist keineswegs ein isoliertes Phänomen. Hass und Hetze sind unter Jugendlichen weit verbreitet und haben seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie sogar zugenommen. Es ist besorgniserregend festzustellen, dass jedes dritte Kind in Deutschland unter den Auswirkungen von Mobbing leidet.

Wo fängt Mobbing an?

Mobbing liegt vor, wenn sich der Wertekompass innerhalb einer Gruppe derart verschiebt, dass es niemanden mehr beunruhigt, wenn Verleumdung, Diebstahl, Bedrohungen, Erpressung oder sogar körperliche Gewalt gegen andere toleriert werden.

In beinahe allen Fällen sind digitale Medien in das Geschehen involviert, weshalb die Unterscheidung zwischen Mobbing und Cybermobbing wenig sinnvoll erscheint. Am häufigsten haben die betroffenen Jugendlichen Cyber-Mobbing über die Plattform WhatsApp erfahren (52 Prozent). Dahinter folgen Tik Tok und Instagram mit 34 beziehungsweise 33 Prozent. Durch die Nutzung sozialer Medien schaffen Kinder und Jugendliche einen Raum, der für Erwachsene entweder unzugänglich oder nur begrenzt einsehbar ist. Innerhalb dieses Raums entstehen eigene Wertvorstellungen und Normen, die oft in eine dissoziale Richtung tendieren und von außen weder erkennbar noch kontrollierbar sind.

Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Auswirkungen des Cybermobbings weit über den direkten Kontext hinausreichen, in dem es stattfindet. Aufgrund des Internets und des dadurch erheblich größeren Publikums kann das Macht Gefüge leicht aus dem Gleichgewicht geraten. Es gestaltet sich schwierig nachzuvollziehen, wer Nachrichten oder Medieninhalte weiterverbreitet hat und bei wem sie letztendlich ankommen. Dies führt zu einer schnelleren Verbreitung der Mobbingangriffe und erschwert es, diese einzudämmen.

Zusätzlich sind sichere Rückzugsorte für das Opfer, an denen es sich vor Mobbing sicher fühlen kann, kaum mehr existent. Mobbingattacken sind nicht mehr auf einen bestimmten Ort (wie Schule, Sportverein usw.) beschränkt, sondern können durch den permanenten Zugang zum Internet jederzeit und überall stattfinden. Dies erschwert es dem Opfer erheblich, sich gegen die Angriffe zu verteidigen. Darüber hinaus erreichen die Emotionen des Opfers und die Auswirkungen der Angriffe oft nicht die Angreifer, was dazu führt, dass diese weitermachen.

Zudem bietet das Internet ein hohes Maß an Anonymität, wodurch sich die Täter häufig weniger verantwortlich fühlen. Die Hemmschwelle, jemanden anzugreifen, ist dadurch deutlich geringer.

Wann fängt es an und wer ist meist betroffen?

Im Allgemeinen sind Kinder und Jugendliche aus wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen sowie solche, deren Eltern weniger Unterstützung bieten, etwas häufiger von Mobbing betroffen. Diese Form von Schikanen tritt in der Regel im Alter zwischen dem zehnten und vierzehnten Lebensjahr auf, einer besonders kritischen Phase, da hier massive Veränderungen im Zusammenhang mit der Pubertät auftreten.

Wie erkenne ich, ob mein Kind gemobbt wird?

Während der Pubertät verändern Kinder ihr Verhalten, indem einige sich von ihren Eltern zurückziehen oder persönliche Probleme für sich behalten. Es gestaltet sich schwierig zu erkennen, ob das Kind Opfer von Mobbing ist. Um sicherzustellen, dass das Mobbing-Opfer die Täter, auch als Mobber bezeichnet, nicht verrät, setzen diese verschiedene Drohungen ein, um es davon abzuhalten, jemandem von den schikanösen Vorfällen zu berichten.

Frühwarnzeichen können das Meiden von Schule, Mitschülern und Freunden sein, ebenso wie verstärkter Rückzug, häufige Klagen über Kopf- und/oder Bauchschmerzen sowie ein Absinken der schulischen Leistungen. Die langfristigen Folgen von Mobbing und Cybermobbing in der Schule erstrecken sich bis hin zu Depressionen, Angstzuständen, Essstörungen und erhöhter Aggressivität.

Ein weiterer Hinweis auf mögliches Mobbing oder Konflikte in der Schule könnte sein, dass Ihr Kind den Wunsch äußert, die Schule zu meiden oder über Bauch- oder Kopfschmerzen klagt. An dieser Stelle ist es entscheidend, diese Beschwerden nicht als Ausrede abzutun, sondern sie ernst zu nehmen, da es sich um echte Anzeichen von psychischem Stress handeln kann. Versuchen Sie, mit Ihrem Kind darüber zu sprechen, warum es diese Symptome zeigt, und erkundigen Sie sich, ob möglicherweise etwas in der Schule vorgefallen ist, um Informationen über einen Konflikt oder einen Fall von Mobbing zu erhalten.

Eine Verschlechterung der schulischen Leistungen kann ebenfalls ein Anzeichen für soziale Probleme in der Schule sein.

Vertrauen Sie als Eltern einfach ab und an Ihrem Bauchgefühl.

Was sind die Folgen von Mobbing?

Mobbing ist ein düsterer Begleiter, der uns von der frühen Kindheit bis in die Arbeitswelt verfolgt. Es manifestiert sich nicht nur physisch, sondern gräbt sich tief in unser individuelles Wohlbefinden ein. Wenn nicht rechtzeitig gegen Mobbing vorgegangen wird, können die Auswirkungen weitreichend sein, und die Opfer leiden oft ein Leben lang. Personen, die als Kinder Mobbing erlebt haben, tragen ein erhöhtes Risiko, im Erwachsenenalter wenige soziale Beziehungen zu haben, berufliche Instabilität zu erleben oder in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten.

Langfristig schadet Mobbing auch der Gesundheit. Kinder und Jugendliche, die in der Schulzeit demütigenden oder schikanierenden Handlungen ausgesetzt waren, haben als Erwachsene ein sechsfach höheres Risiko, an schweren Krankheiten zu leiden oder psychische Erkrankungen zu entwickeln.

Wie Eltern ihren Kindern helfen können

Wenn Sie den Verdacht auf Mobbing haben, ist es ratsam, ein Gespräch mit Ihrem Kind zu suchen und sich als Vertrauensperson anzubieten, zu der es jederzeit kommen kann.

Wenn Ihr Kind sich Ihnen gegenüber öffnet, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Sie dies ernst nehmen und ihm das Gefühl vermitteln, nicht allein zu sein. Vermeiden Sie dabei Sätze wie: „Warum hast du dich denn nicht gewehrt?“ – um die möglicherweise bereits vorhandenen Schuld- oder Schamgefühle nicht zu verstärken. Klären Sie Ihr Kind darüber auf, dass die Schuld keinesfalls bei ihm liegt, und stärken Sie sein Selbstvertrauen.

So stärke ich mein Kind gegen Mobbing

Streitkultur

Kinder sollten die Fähigkeit entwickeln, Konflikte zu bewältigen. Insbesondere bei Geschwistern, die sich gelegentlich streiten oder sich gegenseitig necken, ist es nicht immer ratsam, jeden Streit sofort zu unterbinden. Kinder, die nicht lernen, sich ihren verbalen Auseinandersetzungen weitgehend eigenständig zu stellen

Für Integration sorgen

Täter wählen ihre Opfer selten aus bereits bestehenden Gruppen aus. Das bedeutet, dass Kinder, die gut in einen Freundeskreis integriert sind, eine größere Immunität gegenüber Mobbing aufweisen.

Eine starke Familie sein

Für Kinder, die Hänseleien zum Opfer fallen, ist der familiäre Rückhalt von entscheidender Bedeutung. Dabei geht es nicht darum, gemeinsam gegen die Täter zu schimpfen, sondern darum, dem Kind Rückhalt zu geben und ihm bewusst zu machen, dass es Teil einer starken Familie ist. Eine Gemeinschaft von Familienmitgliedern, die füreinander einstehen und für jeden Einzelnen wie eine Burg fungieren.

Täter auseinanderhalten

Wenn ein Kind weinend nach Hause kommt, weil es von einer Gruppe Mitschüler gehänselt wurde, betrachtet es in seinem Empfinden alle Gruppenmitglieder als Täter. Die Aufgabe der Eltern besteht nun darin, möglichst viele Details zu erfahren. Häufig zeigt sich, dass nicht alle 10 Kinder an den Hänseleien beteiligt waren, sondern meist nur 2-3 Rädelsführer.

Verbündete suchen

Wenn Ihr Kind Ihnen konkrete Namen der Täter anvertraut, sollten Sie es vermeiden, diese oder deren Eltern eigenmächtig zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist zwar verständlich, dass Sie Ihr Kind schützen möchten, jedoch haben die Eltern der Täter in der Regel ähnliche Schutzinstinkte und wehren oft jegliche Vorwürfe ab. Zudem besteht die Gefahr, dass die Position Ihres Kindes weiter geschwächt wird, wenn die Täter bemerken, dass es seine Eltern vorgeschickt hat.

Stattdessen ist es sinnvoll, „Verbündete“ zu finden. Suchen Sie den Kontakt zur Schule und sprechen Sie mit Lehrkräften, Vertrauenslehrern, Schulsozialarbeitern oder schulpsychologischen Beratungsstellen. Treten Sie in Dialog mit der Klassenleitung und informieren Sie diese über die Situation. Gemeinsam können geeignete Maßnahmen besprochen werden, um einen konstruktiven Umgang zwischen Tätern und Opfern zu ermöglichen. Es geht darum, Wege zu finden, wie Kinder miteinander in Frieden leben können.

Daher ist es nicht angebracht, ausschließlich nach Bestrafung der Täter zu verlangen und den Lehrer aufzusuchen. Die zentrale Frage sollte vielmehr lauten: „Wie können die Kinder dazu gebracht werden, möglichst friedlich miteinander auszukommen?“ In dieser Hinsicht sind Lehrer und Schulsozialarbeiter oft die besten Verbündeten, da auch sie das Ziel verfolgen, ein harmonisches Miteinander zu fördern, ohne dabei zu stark direkt einzugreifen.

Es ist auch ratsam, die Freunde Ihres Kindes einzubeziehen, indem Sie nachfragen, wie sie den möglichen Vorfall wahrgenommen haben oder sich verhalten haben. Denn sie können die besten potenziellen Unterstützer in einem Mobbingfall für Ihr Kind sein.

Wortgewandtheit üben

Wir möchten vermeiden, dass unser Kind in seiner Verzweiflung das gleiche Verhalten zeigt wie diejenigen, die ihm Schaden zufügen. Gleichzeitig sollte das Kind jedoch nicht schutzlos sein. In der häuslichen Umgebung können wir ein Art Verbaltraining durchführen, bei dem wir gemeinsam nach humorvollen Sprüchen suchen. Diese sollen dazu dienen, die Täter zu entwaffnen, unserem Kind das Lachen auf seine Seite zu sichern und dabei nicht beleidigend zu sein.

Geduld

Es benötigt meist Zeit, bis sich eine Situation so entwickelt hat, dass es eine Täter- und eine Opfergruppe gibt. Ebenso wird es mindestens genauso lange dauern, die verhärteten Fronten abzubauen. Rückschläge sollten daher nicht zur Resignation führen, sondern als Ansporn dienen, weiterhin positiv darauf hinzuarbeiten, ein harmonisches Miteinander für alle Beteiligten zu schaffen.

Zusätzlich ist es ratsam, alles zu dokumentieren und Beweise zu sammeln, wie beispielsweise Screenshots von Chatverläufen oder Social-Media-Posts, in denen Ihr Kind angegriffen wird. In vielen Fällen nehmen die Angriffe auf die Betroffenen im Laufe der Zeit zu. Sollte es zu Körperverletzung oder Sachbeschädigung kommen, ist es sinnvoll, die Polizei hinzuzuziehen.

 

Fazit: Wir denken, wir machen Erfahrungen, aber die Erfahrungen machen uns.

Menschen die Selbstliebe empfinden, neigen weniger dazu, andere Menschen zu verletzen. Je mehr Selbsthass wir empfinden, desto eher möchten wir, dass auch andere leiden. Es ist entscheidend, den eigenen Wertekompass wieder in die richtige Ausrichtung zu bringen. Beim Thema Mobbing liegt die Entscheidung bei der Mehrheit, nicht beim Ausführenden. Es geht darum, ob die Masse sagt: Nein, so wollen wir das nicht!

Für diese Veränderung ist es notwendig, in Präventionsarbeit zu investieren.