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Traditionelles Familienmodell vs. sozial gerechte Gesellschaft

Der Familienalltag kann oft ein wahrer Kraftakt sein. Da wird gefeilscht, gestritten, verteilt und verhandelt, als wäre man auf einem Basar: Wer übernimmt welche Aufgaben, wie werden sie erledigt und wann? Beim Frühstück erfahren dann die Kinder, wie die kommende Woche aussieht. Alles eine Frage der Organisation. Plötzlich auftretendes Fieber, nächtliche Magen-Darm-Infekte oder gar ein gebrochener Arm führen direkt zu einer Organisationskatastrophe.

Die Geburt unseres ersten Kindes war eine intensive Zeit. Sehr schön und vor allem bedeutsam für uns als Familie. Finanziell gesehen war sie angenehm, da wir zusätzlich Elterngeld erhielten. Ich bin der Hauptverdiener. Meine Frau ist selbständig im Home Office und hat die Care Arbeit übernommen. Das klassische Modell ist das nicht….

 

Jetzt ist eine heftige Diskussion über die Pläne der Bundesregierung entbrannt, die die Gruppe der Elterngeldberechtigten reduzieren möchte, um die Ausgaben im Familienressort um 290 Millionen Euro zu senken.

Elterngeldkürzung für Geburten ab 2024 geplant

Zukünftig sollen Eltern, deren gemeinsames zu versteuerndes Einkommen über 150.000 Euro liegt, während der Elternzeit keine Lohnersatzleistungen mehr erhalten und im ersten Jahr der Sorgearbeit ohne staatlichen Zuschuss auskommen müssen. Bisher lag die Einkommensgrenze bei 300.000 Euro.

Das Familienministerium gibt an, dass es in Deutschland 60.000 Paare in dieser Kategorie gibt. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hingegen widerspricht dieser Einschätzung und schätzt, dass potenziell 435.000 Paare betroffen sein könnten. Das betrifft sowohl Paare, die derzeit keine Kinder haben, aber möglicherweise in Zukunft welche planen und dann kein Elterngeld mehr erhalten würden.

Das Elterngeld trägt seit 16 Jahren dazu bei, dass sich beide Eltern die Erziehungsarbeit besser aufteilen und den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu ermöglichen. Es wurde damals auch eingeführt, um insbesondere akademisch gebildeten Frauen die Entscheidung für ein Kind zu erleichtern.

Seitdem haben acht Millionen Mütter und Väter von dieser Leistung profitiert. Eltern mit höherem Einkommen erhalten 65 Prozent, während Eltern mit niedrigerem Einkommen bis zu 100 Prozent ihres vorherigen Nettoverdienstes erhalten. Das Elterngeld ist bei 1.800 Euro gedeckelt, und ab einem monatlichen Nettoverdienst von etwa 2.700 Euro steigt es nicht weiter an. Alleinerziehende, die das Elterngeld zum Ausgleich des wegfallenden Erwerbseinkommens beziehen, können die vollen 14 Monate Elterngeld in Anspruch nehmen.

Traditionelles Familienmodell

Es gibt viele Kritikpunkte am Elterngeld, wobei die Begrenzung für wohlhabende Familien eher eine untergeordnete Priorität hat.

Tatsächlich hängt Deutschland immer noch stark am traditionellen Familienmodell. Bis heute wird die Entscheidung für Kinder in vielen heterosexuellen Paarbeziehungen nicht auf einer gleichberechtigten Ebene getroffen. Wenn Väter sich aus „Karrieregründen“ gegen die Inanspruchnahme von Elternzeit entscheiden, besteht eine gesellschaftliche Akzeptanz, während Mütter diese Wahlmöglichkeit meist nicht in demselben Maße haben.

Wer sich ernsthaft für Gleichberechtigung einsetzt, sollte von der Familienpolitik mehr fordern.

Im Koalitionsvertrag findet sich ein äußerst bescheidenes Vorhaben zur Förderung von Partnerschaftlichkeit in der Elternzeit: Die Partnermonate, die genommen werden müssen, um das Elterngeld voll auszuschöpfen, sollen von zwei auf drei Monate erweitert werden. Das ist schon an sich lächerlich, wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Dauer der Elternzeit bei den immerhin 43 Prozent der Väter, die sie überhaupt nehmen, zuletzt bei 3,4 Monaten lag. Die aktuelle Familienpolitik verwendet nicht einmal diese Väter als Maßstab für die Beteiligungszeit von Männern. Daher wird die „Reform“ kaum einen großen Effekt auf die gleichberechtigte Aufteilung der Sorgearbeit in Familien haben und stattdessen eher noch mehr Väter davon abhalten, sich an der Elternzeit zu beteiligen, besonders ohne eine dringend benötigte Anpassung der finanziellen Leistungen. Willkommen im Rückschritt.

Nach wie vor sind drei Viertel der Elterngeldempfänger weiblich. Das bedeutet, dass es meistens die Frauen sind, die anstelle der bisherigen 1800 Euro kein Elterngeld mehr erhalten und somit finanziell von ihrem Partner abhängig sind, zumindest während der Elternzeit. Wer sich eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen wünscht, sollte sich für eine gerechtere Verteilung der Familienaufgaben einsetzen. Das Elterngeld ist keine Sozialleistung, sondern soll dazu motivieren, dass auch Männer mehr Verantwortung in der Familie übernehmen.

Wer tatsächlich Gleichberechtigung will, muss von der Familienpolitik mehr einfordern und es nicht länger hinnehmen, dass Männern keine Veränderungen abverlangt werden.

Equal Care ab der Geburt

Sicher ist es sinnvoll, Familien mit höherem Einkommen weniger finanzielle Unterstützung zu gewähren. Paare, die ein Bruttoeinkommen von etwa 180.000 Euro haben (was zu einem zu versteuernden Einkommen von rund 150.000 Euro führt), sind ganz sicher in der Lage, das erste Jahr mit ihrem Baby ohne Elterngeld zu bewältigen. Diese Paare verfügen über mehr finanzielle Ressourcen als 95 Prozent der Familien in Deutschland.

Allerdings ist die Situation nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint.

  • Die eingesparten 290 Millionen Euro werden kaum ausreichen, um das wichtigste sozialpolitische Ziel der Ampel-Regierung zu finanzieren: die Einführung einer Kindergrundsicherung. Sie ist ein erster Schritt hin zu einer gerechteren und fürsorglicheren Gesellschaft.
  • Es ist längst überfällig, den Mindestsatz beim Elterngeld anzuheben. Seit der Einführung im Jahr 2007 erhalten Eltern, die beispielsweise vor der Geburt nicht erwerbstätig waren oder einen Minijob hatten, einen Mindestbetrag von 300 Euro, während Eltern mit hohem Einkommen den Höchstsatz von 1800 Euro erhalten. Diese Beträge wurden jedoch nie an die Inflation angepasst, wodurch die Kaufkraft von 300 Euro Elterngeld heute etwa ein Viertel niedriger ist als vor 16 Jahren. Die Kosten für Mieten, Windeln und Milchpulver sind seit 2007 deutlich gestiegen, wodurch die Elternzeit für diejenigen, die nur wenig Elterngeld erhalten, zunehmend prekär wird.
  • Die derzeitige Berechnung des Elterngeldes ist kritikwürdig, da der Staat unterschiedliche Werte auf die geleistete Fürsorgearbeit legt. Personen, die zuvor ein hohes Gehalt hatten, erhalten während eines Jahres der Babypflege eine erheblich höhere Summe im Vergleich zu beispielsweise Studierenden, obwohl beide Gruppen die gleiche Arbeit leisten und ähnliche Ausgaben für ihr Baby haben. Ich frage mich, warum z.B. ein Vater in der typischen heterosexuellen Partnerkonstellation, in der Männer oft höhere Einkommen haben, für die Betreuung des Babys finanziell besser gestellt wird als die Mutter. Warum wird seine Sorgearbeit vom Staat höher bewertet?
  • Anstelle einer Kürzung beim Elterngeld könnte die Abschaffung des Ehegattensplittings in Betracht gezogen werden, um ein Ende des antiquierten Steuermodells zu erreichen, das die traditionelle Rollenverteilung zwischen Mann und Frau begünstigt. Das Ehegattensplitting führt dazu, dass verheiratete Paare steuerlich besser gestellt sind als andere und die Frauen durch die steuerlichen Vorteile dazu ermutigt werden, weniger zu arbeiten , weil es sich nicht rechnet. Dazu kommt, dass Alleinerziehende, die ohnehin finanziell mehr belastet sind, auch noch mehr Steuern zahlen müssen. Neben den erheblichen Steuermehreinnahmen würde die Einführung der Individualbesteuerung auch zu einer deutlichen Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Ehefrauen führen.
  • Unabhängig von ihrem Einkommen stellt die Geburt eines Kindes für Eltern einen erheblichen finanziellen Einschnitt dar. Frauen, die Mütter werden, erfahren im Vergleich zu Frauen ohne Kinder einen deutlichen Einkommensrückgang über ihre gesamte Lebenszeit hinweg. Angesichts dessen ist es an der Zeit, die Missachtung von Berufen mit einem hohen Frauenanteil und den weit verbreiteten Niedriglohnsektor in Deutschland nicht länger hinzunehmen. Wir benötigen Löhne, die auch dann ausreichend sind, um den Lebensunterhalt und die Altersvorsorge zu gewährleisten, wenn sie mit Fürsorgeverantwortung kombiniert werden

 

Wie wir leben wollen

Familienarbeit ist eine ernsthafte, anspruchsvolle und gesellschaftlich existenzielle Aufgabe. Hören wir auf, diejenigen zu bestrafen, die sich dafür entscheiden, oft nur für eine begrenzte Zeit. Hören wir auf, nur Erwerbsarbeit einen Wert beizumessen, denn diese Haltung entwertet gnadenlos alle anderen Formen von Arbeit. Das bedeutet, dass Phasen der Erwerbsarbeit immer wieder von Phasen der Familienarbeit abgelöst werden können, unterstützt von der Gesellschaft und gefördert von Unternehmen. Es ist wichtig, sich für eine qualitativ hochwertige flächendeckende Kinderbetreuung und Schulen einzusetzen, die Familien unterstützen und alle Kinder stärken. Denn nur so können wir dem Fachkräftemangel begegnen und gleichzeitig Menschen den Mut zur Familie geben. Zu viele haben diesen Mut bereits verloren.

 

Fazit

Nicht nur der Staat, die Gesellschaft und Arbeitgeber müssen umdenken – auch Mütter und Frauen mit Kinderwunsch sollten ihre Denkweise überprüfen….!