© Sarah Dulay

Traumhaft schön durch Germany’s Next Topmodel

Wenn die Selbstwahrnehmung durch mediale Schönheitsideale beeinflusst wird

„Denn nur Eine kann Germany’s Next Topmodel werden…“ Wie oft schon habe ich diesen Satz gehört? Wie oft schon war ich völlig überrascht, dass es dieses Jahr ausnahmsweise Mal nur Eine wird? (Die Heidi ist halt schon echt vogelwild.) Und wie oft schon habe ich mir gewünscht diesen EINEN Satz zum letzten Mal zu hören? Wer geglaubt hat, nach diesem Jahr endlich von der Klum-Crew verschont zu werden, den muss ich leider enttäuschen. Denn nein, die liebe Heidi will nicht in Rente gehen. Voller Schrecken habe ich feststellen müssen, dass die Verträge für GNTM bis einschließlich 2019 verlängert worden sind.[1]

 

Kera backstage bei GNTM 2010

 

Warum? Warum tun sie uns das an? Das Argument, wenn du die Sendung nicht magst, dann schau sie halt nicht an‘ hilft in diesem Fall eben auch nur bedingt. Selbst, wenn der Fernseher Donnerstagabend ausbleibt, verschont wird man trotzdem nicht. Der Kluminator wütet ja nicht nur auf Pro7 vor sich hin. Egal ob man am nächsten Tag einen Blick in sein Email-Postfach wirft, doch mal wieder auf Facebook & Co. vorbeischaut oder einfach nur Zeitung liest, Grenzen kennt er nicht. Und so bleibt uns Germany’s Next Topmodel als Teil unseres ‚kulturellen‘ Lebens wohl weiterhin erhalten.

Zu erfolgreich ist die Modelcastingshow aus ökonomischer Perspektive, zu hoch sind die Einschaltquoten bei der Hauptzielgruppe und zu hoch die Werbeeinnahmen für Pro7 und seine Werbekunden. GNTM ist und bleibt ein echter Erfolgsgarant. Da ist es dann vielleicht auch nicht ganz so schlimm, wenn die Moral auf der Strecke bleibt – zumindest für Pro7.

Wenn Erfolg wichtiger ist als Moral

Nicht, dass ihr mich jetzt falsch versteht. Es soll hier nicht darum gehen, die Moralkeule zu schwingen und Heidi Klum für die Übel unserer Gesellschaft verantwortlich zu machen. Trotzdem machen es sich die Produzenten meiner Meinung nach zu einfach, wenn sie sagen, dass GNTM nur ein Unterhaltungsformat ist, deswegen keinen erzieherischen Einfluss auf junge Frauen hat und jegliche Verantwortung von sich weisen. Ich habe da dann tatsächlich doch eine etwas andere Meinung. Durch meine Erlebnisse als ehemaliges Model sowie als Kandidatin bei GNTM und meine jahrelangen Erfahrungen mit Essstörung und Selbstverachtung weiß ich, wie stark der Einfluss von medialen Schönheits- und Schlankheitsidealen sein kann.

Zwar leidet nicht jede Frau, die Germany’s Next Topmodel schaut, danach automatisch unter einer Essstörung. Aber für viele jugendliche Mädchen, die die Veranlagung eine Essstörung zu entwickeln in sich tragen (also beispielsweise unter großen Selbstzweifeln leiden und dazu neigen sich selbst und ihren Körper stark abzuwerten), ist die Modelshow der letzte entscheidende Punkt Richtung gestörtem Essverhalten.[1] Und selbst, wenn nicht jede Zuschauerin in die Essstörung rutscht, ganz ohne Konsequenzen bleibt der Sendungskonsum dann oft doch nicht. Betrachtet man die Dr. Sommer-Studie 2009, stellt man fest, dass nur noch 55% aller Mädchen im Alter von 16 und 17 zufrieden mit ihrem Aussehen sind, während es 2006 noch 70% waren.[1] Nur vier Jahre Topmodel in Deutschland und die Selbstzufriedenheit sinkt drastisch.

 

Kera kurz nach ihrem Auscheiden von GNTM 2010

 

Die Faszination junger Frauen an GNTM

Woran aber liegt es, dass gerade GNTM so einen großen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung junger Frauen zu haben scheint? Weil die Show so ‚gut‘ umgesetzt ist. Sie spricht nämlich genau die Dinge an, die im Jugendalter wichtig werden. In einem Lebensabschnitt, in dem erwartet wird, dass man eine eigene Identität generiert und Verantwortung für sich und sein Leben übernimmt, braucht es verschiedene Strategien, um mit den gesellschaftlichen Anforderungen überhaupt umgehen zu können. Nicht zuletzt die Selbstinszenierung als Möglichkeit in verschiedenen Rollen auszuagieren, wer man überhaupt ist, ist dabei von großer Bedeutung.

In einem Umfeld, in dem Mädchen von klein auf lernen, wie wichtig bzw. vielversprechend es ist, süß und schön zu sein, hat Germany’s Next Topmodel einen entscheidenden Vorteil. Hier lernt man, wie man sich als junge Frau möglichst erfolgsversprechend selbst inszeniert, so dass einem die positive Aufmerksamkeit der Massen sicher ist: schön, schlank und sexy. Die Kandidatinnen bekommen in der Show das nötige Werkzeug, um allgemein anerkannten Idealen entsprechend immer noch schöner zu wirken sowie die Möglichkeit sich in einer erstrebenswerten Welt von Glamour, Luxus und Reisen ins beste Licht zu setzen. Die Zuschauerinnen wiederum können die Teilnehmerinnen, die ihnen vom Alter und Erfahrungshorizont entsprechend sehr ähnlich sind, auf ihrem Weg vom Mädchen zum Model beobachten und für die eigene Entwicklung Schlüsse daraus ziehen. Solange jedes Jahr also neue Mädchen in die Unsicherheiten der Pubertät hineinwachsen und von GNTM vermeintliche Lösungsansätze für ihre jugendlichen Probleme eröffnet bekommen, wird der Strom an Zuschauerinnen nicht abbrechen, die selbst davon träumen die Welt irgendwann von ihren Topmodel-Qualitäten zu überzeugen.

 

Selbstliebe statt Modelmaße oder ‚Glücklich ist das neue Schön‘

Wie gesagt, ProSieben macht einen sehr guten Job, moralisch fragwürdig, aber effizient. Und bevor Frau Klum mit ihrer Show nicht ihren Status als ‚Cashcow‘ des Unternehmens verliert, wird sie weiterhin Models casten, ob uns das gefällt oder nicht. Wenn ich wüsste, dass die Produzenten offen wären für Sorgen oder Bedenken, ich würde Ihnen umgehend einen offenen Brief schreiben. Aber genauso gut könnte ich mich mit meinem Mittagessen unterhalten.

Was tut man also, wenn man vom Klum-Zirkus nichts hält, aber trotzdem mit ihm konfrontiert wird, weil man beispielsweise eine Tochter zuhause sitzen hat, die auch davon träumt eines Tages zu Germany’s Next Topmodel zu gehen? Die Sendung zu verbieten, das wissen wir alle, bringt in unserer Internet-Gesellschaft absolut überhaupt nichts. Sinnvoller wäre es aus meiner Perspektive, die Sendung zusammen mit den Töchtern zu schauen und sich kritisch aber dennoch offen darüber auszutauschen. Nur so lässt sich überhaupt herausfinden, welche kompensatorischen Strategien mit dem Sehen der Sendung verfolgt werden. Das Wichtigste ist, das junge Mädchen verstehen, dass es im Leben eben doch nicht ausschließlich darauf ankommt, schön, schlank und sexy zu sein, egal wie oft Heidi das auch betonen mag. Äußerliche Schönheit kommt und geht, ob wir wollen oder nicht.

Daran kann auch der beste Chirurg nichts ändern. Spätestens mit neunzig ist optisch keiner mehr so schön wie mit 15 oder 19. Dementsprechend wenig Sinn macht es, sein ganzes Lebensglück auf einem so vergänglichen Gut aufzubauen. Viel wertvoller ist doch die Schönheit, die von innen kommt, die auf der gesunden Selbstakzeptanz und -liebe zum eigenen unperfekt perfekten Körper beruht und die sämtliche Falten, Speckpölsterchen und graue Haare überdauert. Wenn wir in der Lage sind, jungen Frauen gute Vorbilder in der Liebe zu uns und unseren Körpern zu sein, wenn wir in der Lage sind, ihnen ein stabiles Wertesystem zu vermitteln und sie in ihrer persönlichen Entwicklung zu ihrem einzigartigen, persönlichen Selbst zu unterstützen, dann werden wir nicht nur Heidi Klum, sondern sämtlichen Modelmachern dieser Welt die Existenzgrundlage nehmen.

 

 

Zur Autorin:

Kera Rachel Cook wurde 1988 als Tochter eines US-Amerikaners und einer Deutschen geboren. Nach dem Abitur 2007 nahm sie in Hamburg Schauspielunterricht, den sie jedoch aus gesundheitlichen Gründen abbrach. 2011 belegte sie an der Universität Tübingen ein Bachelorstudium in Rhetorik und Literatur, das sie 2013 abschloss. Anschließend nahm Kera Rachel Cook ein Masterstudium in Literatur- und Kulturtheorie auf, das sie 2017 erfolgreich absolvierte.

2010 nahm sie an der 5. Staffel des Modelcastings Germany’s Next Topmodel teil, an dem sie bereits nach drei Folgen als 19. ausschied, da sie nicht den Anforderungen der Jury entsprach. Kera Rachel Cook arbeitete über mehrere Jahre als international gefragtes Plus-Size-Model. 2015 entschied sie sich dazu, ihre Modelkarriere ganz zu beenden, weil sie nicht länger Teil einer Industrie sein wollte, die krankhafte Schönheitsideale prägt. Mittlerweile hält sie u.a. Vorträge an Schulen, Hochschulen sowie Unternehmen zu Themen wie körperlicher und psychischer Gesundheit, Schönheitswahn und der medialen Übersexualisierung der Frau. Sie setzt sich dafür ein, vor allem Frauen zu helfen sich selbst mehr schätzen zu lernen. Den Antrieb für ihre Arbeit entnimmt sie der erfolgreichen Überwindung einer jahrelangen Essstörung sowie ihren Erfahrungen als Model.

Im April 2017 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Vom Mädchen zum Model – Faszination Germany’s Next Topmodel, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Erfolgsfaktoren der Modelcastingshow. Seit Mai 2017 ist sie darüber hinaus Geshäftsführerin ihres Unternehmens Choose Now, das die Vermittlung und Betreuung von Coaches und Beratern in den Bereichen Gesundheit, Persönlichkeit und Entwicklung ermöglicht.

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