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Bildungspolitik – Starke Schüler brauchen starke Lehrer

Etwa 2000 Mal begibt sich ein Kind morgens auf den Weg zum Kindergarten oder zur Schule, bis es die obligatorische Schulzeit vollendet hat. Es sind 2000 Tage, die eine maßgebliche Rolle bei der Gestaltung des weiteren Lebenswegs spielen.

Aktuelle PISA Studie

Deutsche Schüler haben das bisher schlechteste Ergebnis erreicht. Angesichts dessen, dass Wissen als unser bedeutendstes Gut in Deutschland gilt und wir keine anderen Rohstoffe in vergleichbarem Maße bieten, haben die PISA-Ergebnisse nicht nur negative Auswirkungen auf individuelle Lebenschancen, Wohlstand und Demokratie, sondern sie bergen auch eine Bedrohung für die Zukunft unseres Landes.

Was eine erfolgreiche Schulzeit ausmacht

Neben der reinen schulischen Leistung sind andere Kriterien mindestens ebenso bedeutsam. Ist es nicht erstrebenswert, wenn junge Erwachsene auf ihre Schulzeit zurückblicken können und sich erinnern…:

  • „Ich habe vieles gelernt, das für mich persönlich relevant war und mich auf meinen weiteren Lebensweg vorbereitet hat.“
  • „Ich weiß, wie man lernt, bin mir bewusst, dass Hindernisse zum Prozess gehören, und habe in der Schule das notwendige Vertrauen in meine Fähigkeiten entwickelt, um mich auch zukünftig Herausforderungen zu stellen und Neues zu erlernen.“
  • „Ich habe mich in der Schule sicher und wohlgefühlt. Ich war Teil einer Gemeinschaft und habe erlebt, dass wir alle vorankommen, wenn wir zusammenarbeiten und jeder seine Persönlichkeit und Fähigkeiten einbringen darf.“

Deswegen erfordert es Mut, wenn Lehrkräfte sich die Frage stellen: Was lernen die Kinder in meinem Unterricht wirklich? Was erfahren sie über sich und ihre Fähigkeiten?

Lehren lernen –  Welche Maßnahmen sind sinnvoll?  

Aus meiner Perspektive stellt das größte Problem die Art und Weise dar, wie Wissen vermittelt wird – nämlich durch das sogenannte Trichter-Lernen. Hierbei wird den Schülern der Stoff regelrecht eingetrichtert, so dass er kurzfristig für Tests abrufbar ist. Jedoch wird das meiste direkt danach schon wieder vergessen.

Was sagt das über die Sinnhaftigkeit des Unterrichts? Besonders beunruhigend wird dies, wenn wir einen Blick auf das Kollegium werfen. Unter 30 Lehrkräften gibt es vielleicht zwei, die trotz der Belastung halbwegs stabil und gut gelaunt sind. Gerade bei den älteren Lehrern scheint die Luft extrem dünn zu werden. Wenn 80% bis 90 % der zu vermittelnden Inhalte für die Kinder uninteressant sind, führt dies zwangsläufig dazu, dass man erschöpft wird.

Ist es nicht Aufgabe der Lehrkräfte, das Wissen auf eine andere, lebendigere Weise zu vermitteln?

Es wäre wünschenswert, wenn es so einfach wäre. Doch das Eintrichtern erfolgt nach strikten Vorgaben, nämlich den Lehrplänen. Hinzu kommt die Vorgabe einer bestimmten Anzahl von Klassenarbeiten. Wenn beispielsweise drei Klassenarbeiten pro Halbjahr festgelegt sind, kann eine Lehrkraft nicht einfach entscheiden, nur eine zu schreiben. Der Druck ist enorm. Viele Lehramtsstudenten sind nicht darauf vorbereitet, wenn sie die Universität verlassen. Sie haben vielleicht großartige Ideen, brennen für das Unterrichten und wollen endlich all das umsetzen, was sie an der Hochschule gelernt haben, wie beispielsweise mehr Gruppenarbeit und freiheitliches Lernen….

Und noch etwas – die Welt der Kinder entwickelt sich in atemberaubendem Tempo weiter, während die Bildungseinrichtungen, die darauf abzielen, sie auf dieses Leben vorzubereiten, in Starre verharren. Die in der Schule vermittelten Inhalte scheinen oft an der Lebensrealität der Schüler vorbeizugehen.

Wo sollte bei der Bildungspolitik investiert werden?

Zunächst ist es dringend erforderlich, kleinere Klassen einzuführen: Die Problematik der Aufmerksamkeitsspanne ist offensichtlich, und Erfahrungen zeigen, dass kleinere Klassen dieses Problem effektiv angehen können. Allerdings bedarf dies natürlich einer Erhöhung der Lehreranzahl. Dies betrifft die strukturellen Rahmenbedingungen.

Ebenso wichtig ist eine grundlegend andere Lernmethodik: Statt des traditionellen trichterförmigen Unterrichts sollte mehr Praxis integriert werden, was automatisch zu mehr Spaß am Lernen führen kann. Es ist entscheidend, den Etat für Materialien zu erhöhen – sei es für Bastelmaterial, Lego oder andere kreative Ressourcen, die die Lust am Lernen fördern.

Zudem sollten wir die Nutzung von Sporthallen optimieren: und die Kinder zu mehr Bewegung motivieren. Mindestens vier Stunden Sport pro Woche wären optimal, im Gegensatz zu den derzeitigen zwei Stunden.

Kreativere Lehrkonzepte: die Experten aus der Wirtschaft einbinden und autodidaktische Formate stärker fördern, sind empfehlenswert. Gleichzeitig sollten wir auf das traditionelle, oft als mühsam empfundene Auswendiglernen von Fremdsprachen, insbesondere das stumpfe Pauken von Vokabeln, verzichten.

Wir brauchen finanzielle Mittel, um unseren Lehrern und Schülern einen modernen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen: Schule von heute braucht flächendeckendes WLAN, IT-Mitarbeiter an Schulen und mehr Sozialarbeiter und pädagogisches Fachpersonal – um nur Minimalforderungen zu nennen. Was wir nicht brauchen, ist eine aufgeblähte Verwaltung, die Gelder verschlingt und Strukturreformen ausbremst.

Die besten Lehrkräfte an Schulen mit vielen benachteiligten Kindern bringen: Hierfür wären finanzielle Anreize ein denkbares Mittel. Doch ähnlich wie beim Thema Kitaplätze gilt: Der Mangel an Lehrkräften ist insgesamt dramatisch. In der Praxis zeigen Gehaltsanreize null Wirkung, wenn es darum gehe, Lehrkräfte an Schulen in schwieriger Lage zu locken.

Nachhilfeprogramme für benachteiligte Kinder früh und kostenfrei anbieten: In dem ifo-Papier werden Studien zitiert, die die gesamtwirtschaftlich sehr positive Wirkung von früher Nachhilfe belegen.

Die Aufteilung auf unterschiedliche weiterführende Schulen verschieben: Dies ist ein schulpolitisch umstrittener Punkt. In Deutschland ist es traditionell so, dass die Kinder früh auf unterschiedliche Schulformen verteilt werden, in den allermeisten Bundesländern schon nach Klassenstufe vier. Im internationalen Vergleich belegt die Forschung, dass die frühzeitige Aufteilung auf weiterführende Schulen die Ungleichheit bei den Schülerleistungen erhöht, ohne das Leistungsniveau zu verbessern. Die Verteilung der Kinder nach der Grundschule auf unterschiedliche Schultypen muss endlich überdenkt werden.

Mentoring-Programm für benachteiligte Kinder fördern: Von großen und langanhaltend positiven Effekten auf benachteiligte Kinder spricht die ifo-Studie mit Blick auf Mentoring-Programme. Die gibt es bisher aber nicht flächendeckend.

Was funktioniert nicht in der Lehrerausbildung?

Die Qualität der Bildung ist maßgeblich von den Lehrerinnen und Lehrern abhängig, die in unseren Schulen tätig sind. Daher ist ein entsprechendes Lehramtsstudium von enormer Bedeutung für die zukünftige Entwicklung unserer Bildungssysteme.

Fachleute kritisieren, dass das Studium zu stark auf akademische Inhalte fokussiert ist, zu wenig Praxisorientierung bietet und zu unflexibel gestaltet ist. Insbesondere Gymnasien benötigen vermehrt pädagogische und psychologische Kompetenzen. Zusätzlich könnte im Studium mehr Raum für die Integration digitalen Unterrichts in den Lehrplan geschaffen werden.

Immer noch keine einheitlichen Qualitätsstandards

Die Lehrerausbildung sowie Fort- und Weiterbildung sind in den 16 Bundesländern uneinheitlich geregelt. Es ist problematisch, die Ausbildung als isolierte Teilmärkte zu betrachten und sich anschließend zu wundern, dass der Gesamtmarkt nicht kohärent ist. Neben den 16 Bundesländern sind die Universitäten, und somit auch die Lehrkräftebildung, oft einem anderen Ressort als den Schulen zugeordnet. Dies führt zu einer Situation, in der 32 Ministerien und zusätzlich 120 Universitäten eine Abstimmung erfordern. Dies gestaltet sich schwierig, insbesondere, wenn nicht alle bereit sind, auf null zurückzugehen. Eine Studie der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission betont, dass mehr Gemeinsamkeit förderlich für die Qualitätssteigerung wäre.

Unklar ist auch, wie sich die Schüler auf die verschiedenen Schulformen verteilen und für welche Schularten sowie Fächer Lehrkräfte benötigt werden. Die Bildungsforscher in der Kommission sind überzeugt, dass nur gut qualifizierte Lehrer, die auf fundiertem Forschungswissen basiertes Fach- und Praxis Wissen erwerben, in der Lage sind, den Lernstand und -verlauf ihrer Schüler zu diagnostizieren und sie zu erfolgreichen Leistungen zu führen.

Zudem werben sich in unserem Bildungsföderalismus die Bundesländer gegenseitig (vor allem) junge Lehrkräfte und Lehramtsabsolventen ab. Staatliche Schulen verlieren immer mehr Lehrkräfte durch unnötig komplizierte Bürokratie und zu hohe Anforderungen bzw. schlechte Arbeitsbedingungen (große Klassen, extrem hohe Heterogenität, schlechte digitale Ausstattung) an Schulen in freier Trägerschaft.

Darüber hinaus werden Abschlüsse von Lehrkräften je nach Bundesland anerkannt (oder auch nicht). So verhält es sich auch mit ausländischen Lehrkräften. Diese haben ein Lehramtsstudium im EU-Ausland abgeschlossen, erhalten hier aber nicht die Anerkennung (obwohl sie teilweise besser ausgebildet wurden als in Deutschland).

Lehrinhalte im Studium

Die meisten Menschen haben keine genaue Vorstellung davon, was der Lehrerberuf tatsächlich bedeutet und welche Aufgaben zu bewältigen sind. Oft orientieren sie sich an ihrer eigenen Schulzeit und nehmen an, dass der Beruf lediglich eine Fortsetzung aus einer anderen Perspektive sei. Nicht wenige wünschen sich jedoch einen verbindlichen Eignungstest vor dem Lehramtsstudium, um ihre Eignung besser einschätzen zu können. Eine Befragung auf dem Schulportal ergab ein eindeutiges Ergebnis: 91 Prozent der über 600 Teilnehmenden stimmten mit „Ja“ auf die Frage, ob es verbindliche Eignungstests für das Lehramtsstudium geben sollte, bei denen auch Persönlichkeitsmerkmale geprüft werden.

Zusätzlich dazu wird durch die Numerus-Clausus-Beschränkungen in einigen Bundesländern nicht immer gewährleistet, dass tatsächlich diejenigen zum Studium zugelassen werden, die eine innere Berufung für das Lehramt verspüren. Insgesamt führt dies dazu, dass viele qualifizierte junge Menschen, die für den Lehrberuf geeignet wären, ausgeschlossen werden.

Bemängelt wird auch, dass es an Universitäten zu wenig Beratung und Begleitung für angehende Lehrkräfte gibt. Nach Schätzungen sind etwa 40 Prozent der Lehramtsstudierenden ungeeignet für den Beruf. Kritisiert wird zudem, dass die Studierenden zu wenig Möglichkeiten haben, die erforderlichen Kompetenzen im Studium zu erlernen, da der Fokus zu stark auf Fachinhalten liegt. Die Vermittlung dieser Inhalte an die Zielgruppe wird jedoch vernachlässigt. Die praktische Beziehung zur Schule ist im Lehramtsstudium kaum vorhanden.

Um mehr geeignete Abiturienten für den Lehrerberuf zu gewinnen, wird nicht nur eine bundesweite Werbekampagne empfohlen, sondern auch Rekrutierungsstrategien sowie mehr Studienplätze in Mangelbereichen und eine Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen im Zusammenwirken von Ländern und Hochschulen.

Die Zentren für Lehrerbildung sollten deshalb durch eine Ansiedlung auf der Leitungsebene gestärkt und ihre strategische Rolle hochschulgesetzlich verankert werden, was für Berufungsverfahren und Mittelverteilung von Vorteil wäre. Dazu könnten aus Sicht der Wissenschaftler Zielvereinbarungen zur langfristigen Verbesserung des Studienerfolgs gehören.

Lehrermangel verschärft sich

Trotz der Erweiterung der Kapazitäten für das Lehramtsstudium in vielen Bundesländern konnte der steigende Bedarf an Lehrkräften an Schulen in den letzten Jahren nicht ausreichend gedeckt werden. Die Situation verschärft sich weiter, und aktuellen Schätzungen zufolge fehlen derzeit etwa 40.000 Lehrerinnen und Lehrer. Prognosen deuten darauf hin, dass bis zum Jahr 2023 zwischen 31.000 und 81.000 Lehrkräfte fehlen werden. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Zahl der Studienanfänger derzeit sinkt, wobei ein beträchtlicher Anteil der Studienanfänger das Lehramtsstudium abbricht oder in andere Fachrichtungen wechselt. Nach dem erfolgreichen Studienabschluss treten 20 Prozent der Absolventinnen und Absolventen weder ins Referendariat noch direkt in den Lehrerberuf ein. Die Schülerzahl hingegen steigt an.

Um mehr Nachwuchs zu gewinnen, muss das Studium attraktiver werden, appellieren Experten der Robert Bosch Stiftung, der Bertelsmann Stiftung, des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) und des Stifterverbands. Nötig sind flexiblere, praxisnähere Inhalte und Studienstrukturen.

Es braucht mehrere Maßnahmen, um der Personallücke entgegenzuwirken und die Lehrerausbildung zudem zukunftsfähig aufzustellen. Die Bildungsexperten fordern ein gemeinsames Engagement von Ländern, Hochschulen, dem Bund und allen Beteiligten der Lehrkräftebildung.

Änderungen an Universitäten notwendig

Was muss sich ändern? Experten meinen, mehr Praxisorientierung ist erforderlich, und auch die obligatorische Wahl von zwei Studienfächern sollte überdacht werden, da dies international ungewöhnlich ist und für eine hochwertige Unterrichtsqualität ein Fach ausreichen könnte.

Das Lehramtsstudium sollte deswegen verstärkt und frühzeitig praxisorientiert gestaltet werden. Es ist außerdem notwendig, die Ausbildung im Bereich Medienkompetenz zu verbessern und im Studium eine verpflichtende Auseinandersetzung mit den Chancen, Risiken und Grenzen der Künstlichen Intelligenz erfolgen. Um qualifiziertes Lehrpersonal zu erhöhen, ist eine deutlich höhere Durchlässigkeit für andere Studierendengruppen erforderlich.

Hierzu gibt es folgende Empfehlungen:

  • Verbesserung der Datengrundlage zu Bildungsverläufen.
  • Einführung von Beratungsangeboten.
  • Erhöhung der Attraktivität des Lehramtsstudiums durch frühzeitige Praxisphasen.
  • Ermöglichung dualer Lehramtsstudiengänge.
  • Flexibilisierung der Wege in den Lehrerberuf.
  • Institutionalisierung von Studienangeboten zur Nachqualifizierung und Weiterbildung.
  • Festlegung von Qualitätsstandards für den Quer- und Seiteneinstieg in den Lehrerberuf.

Die Bildungsexperten des Kooperationsprojekts „Monitor Lehrerbildung“ fordern ein gemeinsames Engagement von Ländern, Hochschulen, dem Bund und allen Beteiligten der Lehrkräftebildung. Ihre Studie „Lehrkräftebildung im Wandel“ geht von fundamentalen Veränderungen beim Lehren und Lernen durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) aus.

Und noch etwas Anderes wäre wichtig

Die Förderung des „Lernens, wie man lernen kann“ wird vernachlässigt. Um es salopp auszudrücken: Ich muss nicht alles im Detail wissen, aber ich sollte wissen, wo ich Informationen finden kann. Persönlich erinnere ich mich daran, wie wir im Biologieunterricht detailliert den Frosch durchgenommen haben. Das erworbene Wissen über diesen spezifischen Stoff habe ich später nie wieder benötigt. Doch im Falle des Bedarfs sollte ich wissen, wie ich auf relevante Informationen zugreifen kann, welche zuverlässigen Quellen existieren und wie man zwischen authentischen und irreführenden Informationen unterscheidet. Das ist von entscheidender Bedeutung.

FAZIT:

Das sind alles hausgemachte Probleme,  die sofort behoben werden müssen. Es steht allerdings kein gesondertes Budget für Bildung zur Verfügung und deswegen passiert zu wenig bzw. gar nichts.

Bildung ist jedoch die mächtigste Waffe, um diese Welt zu verändern. Wir sollten die Schule gesellschaftspolitisch nicht so weit überfrachten, dass sie bei der Erfüllung ihrer Grundaufgaben scheitert, aber dafür Sorge tragen, dass öffentliche Investitionen ins Bildungssystem als Nettoinvestition gelten. Unserer jungen Generation wird es mehr und mehr an den nötigen Fähigkeiten und Wissensgrundlagen fehlen, um eigenverantwortliche Individuen, aufgeklärte Bürger, produktive Berufstätige oder originelle Wissenschaftler zu werden.

Werden wir uns bald nicht mehr unseres eigenen Verstandes ohne Leistung eines anderen – beispielsweise einer KI – bedienen können? Der Weg in eine selbstverschuldete kollektive Unmündigkeit.