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Gibt es einen Weihnachtsmann?

Gibt es einen Weihnachtsmann?

 

Diese Frage hat mir meine kleine Tochter vor kurzem gestellt und ihr größerer Bruder schüttelte nur grinsend den Kopf. Von ihren Freunden hatte sie erfahren, dass es in Wirklichkeit gar keinen Weihnachtsmann gibt. Anfangs glaubte sie an ihn, er hatte sie schließlich nie enttäuscht. Jetzt aber nagte und bohrte der Zweifel an ihr.

Ich musste in dem Moment an die Geschichte der achtjährigen Virginia O’Hanlon denken, von der ich mal hörte.

Vor 114 Jahren wollte die achtjährige Virginia aus New York vom Chefredakteur der „New York Sun“ wissen wollte, was es mit dem Weihnachtsmann auf sich hat:

Ich bin acht Jahre alt. Einige meiner kleinen Freunde sagen, es gibt keinen Weihnachtsmann. Papa sagt, was in der ‚Sun‘ steht, ist immer wahr. Bitte sagen Sie mir: Gibt es einen Weihnachtsmann? Virginia O’Hanlon.

Die Sache war dem Chefredakteur der „Sun“ so wichtig, dass er einen erfahrenen Kolumnisten, Francis P. Church, beauftragte, eine Antwort zu entwerfen – in der Zeitung. Die Antwort bewegte Millionen Menschen weltweit, so dass er noch Jahre danach bis 1950, als die Zeitung eingestellt wurde, immer wieder zum Weihnachtsfest auf Seite 1 erschien.

 

„Ja, Virginia, es gibt einen Weihnachtsmann“

Virginia, Deine kleinen Freunde haben nicht recht. Sie sind angekränkelt vom Skeptizismus eines skeptischen Zeitalters. Sie glauben nur, was sie sehen: Sie glauben, dass es nicht geben kann, was sie mit ihrem kleinen Geist nicht erfassen können. Aller Menschengeist ist klein, Virginia, ob er nun einem Erwachsenen oder einem Kind gehört. Im Weltall verliert er sich wie ein winziges Insekt. Solcher Ameisenverstand reicht nicht aus, die ganze Wahrheit zu erfassen und zu begreifen.

Ja, Virginia, es gibt einen Weihnachtsmann. Es gibt ihn so gewiss wie die Liebe und die Großherzigkeit und die Treue. Und du weißt ja, dass es all das gibt, und deshalb kann unser Leben schön und heiter sein. Wie dunkel wäre die Welt, wenn es keinen Weihnachtsmann gäbe! Sie wäre so dunkel, als gäbe es keine Virginia. Es gäbe keinen Glauben, keine Poesie – gar nichts, was das Leben erst erträglich machte. Ein Flackerrest an sichtbarem Schönen bliebe übrig. Aber das ewige Licht der Kindheit, das die Welt erfüllt, müsste verlöschen.

Es gibt einen Weihnachtsmann, sonst könntest Du auch den Märchen nicht glauben. Gewiss, Du könntest Deinen Papa bitten, er solle an Heiligabend Leute ausschicken, den Weihnachtsmann zu fangen. Und keiner von ihnen bekäme den Weihnachtsmann zu Gesicht – was würde das beweisen?

Kein Mensch sieht ihn einfach so. Das beweist gar nichts. Die wichtigsten Dinge bleiben meistens Kindern und Erwachsenen unsichtbar. Die Elfen zum Beispiel, wenn sie auf Mondwiesen tanzen. Trotzdem gibt es sie. All die Wunder zu denken – geschweige denn sie zu sehen –, das vermag nicht der Klügste auf der Welt.

Was Du auch siehst, Du siehst nie alles. Du kannst ein Kaleidoskop aufbrechen und nach den schönen Farbfiguren suchen. Du wirst einige bunte Scherben finden, nichts weiter. Warum? Weil es einen Schleier gibt, der die wahre Welt verhüllt, einen Schleier, den nicht einmal die größte Gewalt auf der Welt zerreißen kann. Nur Glaube und Poesie und Liebe können ihn lüften. Dann werden die Schönheit und Herrlichkeit dahinter auf einmal zu erkennen sein. „Ist das denn auch wahr?“, kannst Du fragen. Virginia, nichts auf der ganzen Welt ist wahrer, und nichts ist beständiger.

Der Weihnachtsmann lebt, und ewig wird er leben. Sogar in zehn mal zehntausend Jahren wird er da sein, um Kinder wie Dich und jedes offene Herz mit Freude zu erfüllen.

Frohe Weihnacht, Virginia!

Dein Francis Church

 

 

Ich finde, eine wunderschöne Geschichte, die die Möglichkeit bietet, über Hoffnung und Glaube zu philosophieren mit der festen Überzeugung für die besten Dinge im Leben: Glaube, Liebe, Romantik, Poesie.