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Familie im Gepäck

 

Familienbande – warum es sich lohnt zu schauen, wo wir herkommen

 

Eine Familie, die uns beeinflusst, hat jeder von uns. Man lernt in der Familie, wie mit Konflikten umgegangen wird, wie mit Gefühlen. Unsere Beziehung zum Vater, zur Mutter, den Geschwistern prägen uns und formen unsere Persönlichkeit – das ganze Leben lang. Bereits in früher Kindheit werden von uns bestimmte Muster, grundlegende Fähigkeiten, Verhaltensweisen, Lebenseinstellungen oder Beziehungsdynamiken übernommen, quasi vererbt. Themen, die innerhalb der Familie als ‚verinnerlichte Erfahrungen‘ erlebt werden, wirken in uns kraftvoll und dynamisch weiter. Besonders die, die nicht erzählt werden.

Gefühle wie Scham oder seelischer Schmerz kann mit Tabus, Geheimnissen oder auch der familiären Kommunikations(un)fähigkeit in der Familiengeschichte zu tun haben. Dieses unausgesprochene „emotionale und soziale Vermächtnis der Vorfahren“, dieses Konglomerat lebenslanger Verbindungen, Verflechtungen sowie auch die Weitergabe genetischen Materials prägen Familiengeschichten über Generationen hinweg auf ganz bestimmte Weise.

In der Psychotherapie wird die Person deswegen auch nie isoliert gesehen, sondern zurück auf die letzten 3-4 Generationen und auf einen Zeitraum von ca. 3o – 5o Jahren geblickt.

 

Wie viel Einfluss hat die Familie auf unser Leben?

 

Wir werden laut aktuellem Forschungsstand zu 50 Prozent von unseren Genen und zu 50 Prozent von unserer Umwelt geprägt. Wir haben damit buchstäblich die Erfahrungen unserer Ahnen in den Genen. Ebenso wirken sich aber auch Erlebnisse, Erfahrungen und Emotionen auf unser Erbgut aus und verändern es so nachhaltig, dass diese Veränderung auch an nachfolgende Generationen weiter vererbt wird.

Insgesamt wird uns Leben also durch die uns umgebende Lebenswelt, unser Temperament, die Dynamik in unserer Herkunftsfamilie und später dann auch durch andere soziale Netze beeinflusst.

 

Partnerwahl, Erziehungsstil und Streitverhalten

 

Bestimmte Muster in Familien werden über Generationen weitergegeben oder verfestigen sich und können zu Konflikten führen. Wer in seinem Leben von Gewalterfahrung geprägt wurde, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit später selbst Gewalt anwenden. Kinder von Suchtkranken werden häufiger selbst suchtkrank. Haben die Kinder eine Trennung erlebt, steigt das Risiko, später auch geschieden zu sein.

Wir nehmen das Familienklima mit, egal, wohin es uns als Erwachsene verschlägt. Es wird zu einem Teil unserer Persönlichkeit und prägt die Beziehung zu Partnern, Freunden, und später den eigenen Kindern. Zudem ist es für unsere Interessen und Verhaltensweisen, die Sicht auf die Welt und ist für unsere Einstellungen verantwortlich.

 

Was genau ist unter einem Familienklima zu verstehen?

 

„Familienklima“ bedeutet der Umgang von Eltern und Kindern untereinander, vor allen Dingen Ihre Art, zu kommunizieren. Forscher betrachten das Familienleben, als eine beständige Interaktion zwischen Menschen. Dieses Familienklima untereinander wird durch drei Faktoren bestimmt:

Emotionen

Sind die Familienangehörigen zärtlich zueinander und um das Wohlergehen des anderen besorgt. Besitzen sie die Fähigkeit, sich nach einem Streit zu versöhnen, können sie auf die Argumente anderer einzugehen und deren Bedürfnisse respektieren. Oder wird jede Auseinandersetzung verbittert geführt und endet mit persönlichen Beleidigungen.

Anregungen

Ist die Familienumgebung stimulierend. Gibt es gemeinsame Ausflüge und Aktivitäten der Eltern mit ihren Kindern, fördern die Eltern die Hobbys ihres Nachwuchses und helfen bzw. unterstützen bei den Hausaufgaben oder hat sich Fernsehen zu einem zentralen Bestandteil des Alltags entwickelt.

Normen und Autorität

Welche Werte werden innerhalb der Familie vorgelebt? In der einen Familie ist der Wille der Eltern Gesetz , in der anderen Familie gilt ein demokratisches und gleichberechtigtes Miteinander auf Augenhöhe. Manche stellen ihre Überzeugungen immer wieder infrage und sind offen für neue Ideen. Wiederum andere glauben an absolute Wahrheiten, wie sie von einigen Religionen postuliert werden.

 

Da jede Kombination möglich ist, ist jede Familie für sich einzigartig.

In einem Klima, dass emotional wie anregend positiv ist und in dem wenig nach Normen und Autorität gelebt wird, haben alle Familienmitglieder sehr gute Chancen, ein erfolgreiches und glückliches Leben zu führen. Obwohl dies einleuchtend und wenig überraschend klingt, ist es doch für viele Familien sehr schwierig, dieses Klima auf Dauer herzustellen.

 

Die Familie ist nicht allmächtig

 

Viel von dem, was sich da im dunklen Keller unseres Bewusstsein angesammelt hat, sabotiert unser Leben oft enorm. Wenn Konflikte und Probleme durch unser Verhalten ausgelöst werden, fangen wir im besten Fall an, uns damit auseinander zu setzen. Die Ursachen herauszufinden, fällt oft schwer, wir merken nur, dass das Leben nicht rund läuft. Wir fühlen uns nicht mehr wohl und werden unzufrieden. Wir versuchen Muster zu identifizieren und zu verändern. Dabei ist es hilfreich zu erkennen, wo die Ursprünge dieser Muster liegen, welchen Sinn sie hatten und wodurch sie ausgelöst werden.

Gibt es denn die Möglichkeit, sich den Mustern zu widersetzen, wenn man sie erkennt? Können wir diese Kreisläufe durchbrechen?

Fast jeder hat das schon mal gehört oder an sich bemerkt: „Du bist genau wie dein Vater!“, „Das hast du von deiner Mutter!“  ein Spruch aus dem Floskel-Repertoire unserer Eltern, die wir als Kinder gehasst haben. Wir wollen uns ja meistens nicht so wie unsere Eltern verhalten, wir wollen es besser machen. Um dann vielleicht zu scheitern, ganz so wie in dem Lied ‚Nie wie unsere Eltern‘, von Peter Cornelius?

So gibt es neben der Identifikation – wir kopieren die Eltern – auch eine Deidentifikation. Die Kinder entwerfen ein Gegenmodell.

Ein autoritärer, machtvoller Vater kann beispielsweise den Wunsch erwecken, selbst ein besonders liebevoller und fürsorglicher Vater zu werden. Dennoch kann es Momente geben, die für ihn grenzwertig sind. Was passiert? In einer Stresssituation reagiert er übertrieben heftig und entdeckt in sich Verhaltensmuster, in denen er seinen  eigenen Vater wiedererkennt. Wissenschaftlich ausgedrückt: Den primären neuronalen Verknüpfungen im limbischen System, die mit diesem autoritären Vater verknüpft sind, können wir nicht entkommen. Sie sind fest in uns und lassen sich nicht löschen. Ein System, dass die für die soziale Natur der Säugetiere typischen Empfindungen wie Angst, Liebe, Lust, Sorge um den Nachwuchs, Spieltrieb und das Lernen durch Nachahmen reguliert. Wer sich also deidentifiziert, kann kein neues, sondern nur ein weiteres Modell annehmen.

 

Verborgene Chancen

 

Aufgrund seiner familiären Vorgeschichte, muss jedoch niemand seinem Schicksal ausgeliefert sein.

Wir können uns für vererbte Verhaltensweisen, die unser Leben eher behindern, Handlungsalternativen überlegen. Wer es beispielsweise zuhause nicht gelernt hat, auch mal  ‚Nein‘ zu sagen, und deshalb beruflich immer hinten ansteht, der sollte versuchen, seine gewohnten Verhaltensmuster abzulegen. Wer immer nach demselben erfolglosen Muster seine Partnerschaften aussucht, sollte seine zukünftige Partnerwahl hinterfragen.

Familie kann eine hartnäckige Quelle für Belastungen sein. Umgekehrt kann sie aber auch dabei helfen, eben diese loszuwerden. Sobald wir erkannt haben, welchen Einfluss unser emotionales Familienerbe auf uns hat, haben wir die Möglichkeit, uns vielleicht daraus zu befreien – oder auch eine Chance, ein neues Verhaltensmerkmal in unserer Familienbande festzustellen. Unsere Vorfahren können genauso gut Stärken weitergeben – sei es offen oder unverhofft verborgen.

Ein Balanceakt, der womöglich zeitlebens nie abgeschlossen sein wird.